"Seele von Afrika"

Freitag, 30. Dezember 2011

28.12.2011 Goooood Morning, Sambia!

Um 5.30 Uhr höre ich bereits das erste morgendliche Tütenrascheln, Trippeln und Tuscheln.
Kurz vorher hatte irgendein mir unbekannter Urwaldvogel lauthals sein Erwachen ins Ohr gekräht. Ausnahmsweise bin ich sehr froh über das frühe Aufstehen, denn diese Nacht hatte nicht viel an Schlaf zu bieten gehabt. Die Temperaturen sanken zu keinem Zeitpunkt unter 30 Grad, so dass wir alle schweißgebadet und in klitschnassen Klamotten aus unseren engen Liegeboxen krabbeln.
Dafür bietet sich mir allerdings ein unbeschreiblich schöner Anblick des frühen Sonnenaufgangs über dem Luangwa-River, in dessen warmen Strahlen sich bereits die ersten Krokodile ausruhen.

Ich tappse in der sich langsam auflösenden Morgendämmerung zum Klo, welches ein einfacher, grob gemauerter Verschlag ist, in dessen Innenleben es kein elektrisches Licht gibt. Während ich die heimelige Örtlichkeit betrete, nehme ich jedoch gerade noch aus dem Augenwinkel Bewegungen im Waschbecken wahr. Die Umrisse lassen einen Skorpion vermuten, was sich nach meiner Überprüfung mit der Taschenlampe bestätigt. Ein zwar nicht allzu großes, dafür aber ein helles und somit giftiges Exemplar.
An dieser Stelle lassen sich ohne weiteres durchaus Unterschiede zwischen einer Rotel-Expedition und einem All-Inclusive-Cluburlaub feststellen.

Ein wenig Sorgen bereitet uns allerdings noch der Großwildjäger. Während sein Schmiss auf der Nase und die Handverletzung recht gut verheilt sind, scheinen sich die wirklich heftigen Verbrennungen an den Beinen nicht zu bessern. Eine Wunde zeigt bereits das offene und nackte Fleisch, welches dunkelrot gefärbt ist und ständig süfft. Um eine Eiablage der lästigen Fliegen zu verhindern, wickeln wir ihm die Beine in Mullbinden ein.

Heute müssen wir unsere Abfahrt zeitlich vorverlegen, da uns eine unberechenbare Rüttelpiste auf der knapp 500 Kilometer langen Strecke zum South Luangwa Nationalpark bevorsteht.
Edeltraut schiebt rasch noch ihrem Eberhard belegte und mundgerechte Brotstückchen zu und Holger-Volker ist nun an unseren wackeligen Billigcampingtisch gewechselt, da unser Medizinmann sich an Braunchens Tisch verstandener fühlt, während Kai lieber bei den Krokodilen sein Morgenmahl zu sich nehmen möchte.
Nach dem Genuss des mannigfaltigen Frühstücksbuffets in gewohnter Muckefuck- und Konservenqualität, brechen wir unser Lager am Ende der Welt ab. Rasch muss noch eine sich im Lazarettbus verirrte Tsetsefliege entfernt werden und schon sind alle Rotelianer wieder startbereit und tatsächlich auch auf Anhieb vollzählig!
Ich lasse mir vorab noch von unserem hauseigenen Schamanen, der ja grundsätzlich mit dem süßen Nichtstun beschäftigt ist, den Rücken einrenken. Das laute, mehrfache Krachen und Knacken erweckt in mir die Hoffnung, dass nun vorrübergehend alle Knochen an ihre ursprünglich vorgesehene Stelle zurück gerutscht sind und meine Anatomie wieder einigermaßen ihrer genetischen Bestimmung entspricht.
Die Temperaturen beeilen sich bereits bei einem strahlend blauen und wolkenlosen Himmel recht erfolgreich die 40-Grad-Marke zu knacken, während sich mühselig unser versandeter Expeditionsbus mit der Duftnote eines Pumakäfigs in Bewegung setzt.

Die bis dato recht hügelige Buschlandschaft glättet sich im Laufe der langen Fahrt ein wenig und bietet uns wieder einen weiten Blick über die heiße und wesentlich spärlicher bewachsene Savanne. Obgleich dieser Landstrich nur sehr dünn von Einheimischen besiedelt ist, kann man dennoch häufiger Baumwoll- und Bananenplantagen erkennen. Auch die allerorts unter Strohdächern getrockneten Tabakpflanzen, sowie hin und wieder hervortretende runde Lehmhütten deuten auf menschliche Anwesenheit in dieser unwirtlichen Gegend hin.
Nach etlichen, fast unerträglich schwülheißen Stunden ändert sich das karge Landschaftsbild und wir sehen vermehrt Mango- und Affenbrotbäume sowie begrünte Dornensträucher und Akazien. Der Dschungel hat uns wieder und die folgenden 100 Kilometer müssen wir uns nun über eine furchtbare Buckelpiste kämpfen.
Noch nie wurde ich jemals im Leben so hin und her geschleudert! Volle Wasserflaschen, Gepäckstücke und bereits verstaute Mitbringsel fallen polternd oben aus der Ablage, während immer wieder Flüche und unterdrückte Schmerzensschreie von 17 arg geschüttelten Rotelianern zu hören sind. Charly, unser Teufelsbusfahrer, zeigt sich hierbei tatsächlich in Höchstform. Er bringt uns durch tiefe Wassergräben und Sandlöcher hindurch, bei denen keiner von uns geglaubt hätte, dass so etwas mit diesem großen Gefährt möglich wäre.
Sogar meine österreichische Sitznachbarin gibt dabei hin und wieder mal menschliche Laute von sich, obwohl sie ansonsten die meiste Zeit mit totaler Emotionslosigkeit verbringt. "Schnappfisch" nenne ich sie deswegen, weil sie außer für ein 'ja' oder 'nein' ihren Mund nur noch zum Luftschnappen benutzt. Vermutlich übernimmt sie auch stets den männlichen Part in einer derzeit bei ihr nicht vorhandenen Beziehung. Dafür ist mein Nachbar zur anderen Seite leider um so mitteilungsbedürftiger. Der Medizingockel behelligt mich ungefragt ständig mit abgestandenen Witzen oder schwebt in außerirdischen, esoterischen Gefilden. Manchmal fühle ich mich wie auf einem Gipfeltreffen der Bekloppten.

Als wir endlich unser Camp für die kommenden zwei Tage erreichen, habe ich durch die ständige Hitze und Schaukelei stark angeschwollene und mit Hämatomen und Wasserödemen übersähte Beine, die sich permanent dumpf schmerzend anfühlen. Aber wer eben eine Rotel-Expedition bucht, der bekommt sie auch!
Die herbe Schönheit des Buschlagers, welches bezeichnender Weise "Croc Valley" heißt, ist dafür ein wahrer Augenschmaus.
Direkt am Luangwa-River, an dem wir schon letzte Nacht campten, und nur ein paar Meter von den ersten, außerordentlich großen Krokodilen entfernt, schlagen wir unser Nachtlager auf. Wir befinden uns schon im South Luangwa Nationalpark und haben dementsprechend einen von vorwitzigen Meerkatzen und Pavianen dominierten Aufenthaltsort.

Je mehr wir uns dem Äquator nähern, desto eher wird es von Tag zu Tag dunkler.
Bei einer fast unerträglich schwülen Hitze vernehme ich das tiefe Grunzen unzähliger Nilpferde, welche sich wie die rülpsartigen Lockrufe hochbrunftiger Damhirsche anhören. In der alsbald folgenden Abenddämmerung erheben sich majestätisch die gigantischen und klobigen Umrisse der Hippos aus dem seichten Flusslauf des Luangwa-Rivers heraus und demonstrieren somit ihre Daseinsberechtigung.
In diesem Moment kommen mir die Worte des Alexander von Humboldt in den Sinn, der einst weise erkannte:
"Am gefährlichsten sind stets die Leute mit Weltanschauungen, die sich die Welt nie angeschaut haben."

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