"Seele von Afrika"

Sonntag, 25. Dezember 2011

25.12.2011 Zwischen den Ländern und natürliche Auslese

Mitten in der Nacht werden wir alle schlagartig aus dem Schlaf gerissen, als sich ein donnerndes Tropengewitter direkt über unserem Camp zu entladen scheint. Der Lautstärke nach muss der Blitz wohl irgendwo in der Nähe eingeschlagen sein.
Ob es damit zusammenhängt, dass am nächsten Morgen kein Wasserhahn mehr funktioniert wissen wir nicht genau. Allerdings regnet es nicht mehr und die sich neu sammelnde Wärme beginnt bereits, sich an unseren Körpern hochzuarbeiten.
Während des Frühstücks müssen wir heute unser Essen mal nicht gegen Warzenschweine verteidigen, dafür jedoch gegen viel flinkere und aufdringlichere Meerkatzen. Die dreisten Affen belagern gerade den Tisch von unserem "Braunchen", die mit ihrer furchtbar hohen und piepsigen Stimme auf diese einredet, als würden die vierbeinigen Diebe sofort ihre Freveltaten einsehen und ihr reuevoll den Apfel zurückgeben.
Ich nenne meine brünette Reisegefährtin, welche mittleren Alters ist und aus Stuttgart kommt, so, weil sie sicherlich die einzige von uns allen ist, die noch an den Weihnachtsmann glaubt. Ehrlich gesagt habe ich nur selten so viel Naivität kompakt auf eine Person verteilt erlebt. Wäre sie hellhaarig, so hätte man hier den personifizierten Blondinenwitz vor sich gehabt.

Heute verabschieden wir uns von Botswana und fahren in aller Frühe zur Grenze nach Sambia. Erschreckend lange Truck- und Autoschlangen säumen beidseitig den Straßenrand, da sie alle mit der Fähre über den Sambesi nach Sambia überschiffen wollen. Viele Truckfahrer verbringen dabei einigeTage hier, aber wer den besten Preis zahlt, der ist nunmal vorn. Afrika ist da echt einfach strukturiert. Nach den üblichen Passformalitäten springen wir rasch wieder in unseren Rotel und sichern uns nach einer etwa zehnminütigen Fahrt zum Grenzfluss einen guten Platz in der Warteschlange. In diesem Moment fällt plötzlich Richard, einer von unseren sechs oder sieben Junggesellen auf, dass sein Sitznachbar fehlt! Nach einem hektischen Überprüfen sämtlicher anderer Sitzgenossen müssen wir leider einen weiteren Vermissten melden. Charly, unser Busfahrer, traut seinen Ohren nicht und ergießt sich fassungslos in urbayerischen Flüchen. Ich erspare mir gerade mal die Übersetzung davon und auch die Übersetzung der hessischen und schwäbischen Flüche der beiden verlustigen Rotelianer, die wohl ebenfalls ihren Augen nicht trauten, als sie einsam und verlassen an der Passkontrolle standen.
Diese natürliche Auslese männlicher Reisegefährten basiert sicherlich auf dem evolutionär angeborenen Tunnelblick des Mannes, der es Millionen Jahre gewohnt war, den Blick stets fest nach vorn in Richtung Säbelzahntiger zu richten, anstatt sich auch mal rechts und links seine Umgebung einzuprägen.

Da wir nun etwas länger, dafür aber immerhin wieder vollzählig noch auf der Seite Botswanas auf die Fähre warten müssen, werden wir dadurch jedoch mit einem einmaligen Bild belohnt:
Genau an dieser Stelle fließen der Chobe River und der Sambesi zusammen und verbinden sich zu einem großen Strom, der später die imposanten Victoria Fälle speist. Wir blicken auf der anderen Seite des Sambesi schon auf Sambia, während die letzte Landzunge Namibias, Caprivi-Streifen genannt, hier endet. Und nur ein paar Schritte neben uns verläuft schon die durch einen Stracheldrahtzaun markierte Grenze zu Simbabwe. Dieses Vier-Länder-Eck wird allerdings mittels etlicher, mit Maschinengewehren gewappneter Grenzer, bewacht. Auch die Überfahrt findet nur mit diesen schwerbewaffneten Grenzpolizisten statt, die zweifelsfrei den Ton dort angeben.
Als die Fähre anlegt, nimmt sie zugleich all unser europäisches Denken mit zurück nach Botswana, denn hier ab Sambia, wo das tiefe Schwarzafrika beginnt, herrschen eigene Gesetze und Maßstäbe.
Allein schon die Währung des Landes gestaltet sich abenteuerlich: 1 US Dollar entspricht knapp 5.000,- Kwacha. Was für eine scheiß Umrechnerei, aber vielleicht bin ich ja dann für einen Tag mal Millionärin?

Zuerst zeigt sich Sambia allerdings von seiner schönsten Seite:
Wir erreichen in der heißen Mittagssonne die imposanten und beinahe unbeschreiblichen Victoria Fälle, die David Livingstone am 16.11.1855 "entdeckt" hatte und ihnen zu Ehren seiner Königin deren heutigen Namen gab. Sprachlos stehe ich mit einer gefühlten Größe einer Ameise vor etwa 500 Millionen Liter Wasser, die pro Minute in einem ohrenbetäubenden Tosen auf einer Breite von 1,6 Kilometern und einer Falltiefe von 108 Metern in eine Schlucht stürzen. Dort kräuseln sich wild und ungezügelt über 60 Stromschnellen, die bei mir nur noch zu einer Schnappatmung führen, ob dieser herrlichen Naturgewalt.
Mir wird gewahr, dass ich soeben vor den größten Wasserfällen unserer Erde stehe und auf eines der Weltwunder blicke. Um mich herum spazieren sämtliche, vorwiegend farbige Nationalitäten, die ich vermutlich noch nicht mal vom Landesnamen her gehört habe. Und sie alle grüßen freundlich mit den gleichen Worten: "Merry Christmas".

Abends endet unsere Fahrt in einem Camp, welches von einem ehemals ostdeutschen Paar geleitet wird. Prägnant und stolz der Heimat parkt ein aufgemotzter Trabbi vor der Einfahrt, auf dessen Motorhaube ein "Germany-Adler" prangt. Nach dem Essen hocken wir nun alle in einer urgemütlichen und liebevoll eingerichteten Bar und hören in voller Lautstärke deutsche und englische Schlager, die vermutlich schon vor 20 Jahren vollkommen "out" waren.
Die Sepia genießt ihren kühlen Weißwein, der Großwildjäger leckt seine langsam verheilenden Wunden, Holger-Volker erklärt im pastoralen Ton dem Braunchen zum dritten Mal, dass der gerade aufgehende Mond derselbe ist, der just auch in Deutschland zu sehen ist, obgleich die Sternenbilder am Südhimmel andere sind. Theo spricht nicht mehr mit Richard, weil dieser ihn quasi an der Passkontrolle hat stehen lassen und Charly ist es nach dem fünften, zünftigen Bier langsam völlig egal, wieviel nervige Fahrgäste er letztenendes durch die afrikanische Steppe bringen muss.
Der Tropendoc leidet noch qualvoll an den Moskitostichen aus Kasane und erbettelt sich medizinische Creme und Mitleid, während Edeltraut ihrem Eberhard die Kissen ausschüttelt.
Und ich ... ich sitze da und denke sehnsuchtsvoll an meinen Schatz, der auf einem anderen Kontinent weilt.
Gute Nacht verrücktes Afrika!

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