Die vergangenen zwei Tage legten wir bei schwülheißen Temperaturen eine weite, anstrengende Fahrt stets in nordöstliche Richtung durch Tansania zurück. Dabei durchquerten wir das Stammesgebiet der Wahehe, befuhren die unendlich scheinende Trockensavanne, welche mit unzähligen, gewaltigen Affenbrotbäumen gesäumt ist und frequentierten zudem den wunderbaren Mikumi Nationalpark, der uns noch mal mit dem Anblick von Zebras, verschiedenen Antilopenarten, Warzenschweinchen und den majestätischen grauen Riesen beehrte. Niemals vorher sah ich in freier Wildbahn so große Elefantenpopulationen und dennoch sind sie heute nur noch ein Relikt aus vergangenen Zeiten, deren Bestand in beängstigenden Ausmaße geschrumpft ist.
Stets glaubt der Mensch sich die Natur in rücksichtsloser Art und Weise Untertan machen zu dürfen und wird doch eines Tages erkennen müssen, dass auch wir nur klitzekleine "Kaume", wie mein Papa sich stets auszudrücken pflegte, im unendlichen Kreislauf der so vielfältigen und wunderbaren Schöpfung sind.
Wir schlagen noch einmal unser Lager direkt an dem Krokodil besiedelten Great Ruaha Fluss auf. Das Camp ist einfach, einsam gelegen und von herber Schönheit geprägt. Außer uns gibt es nur noch den südafrikanischen Chef dort, namens Darren, der mir erlaubt, seine einzige Stromleiste von der Buschbar zu benutzen und verzichtet dafür auf einige der sowieso spärlichen Leuchtquellen. Strom gibt es ansonsten dort nicht. Nachdem alle meine angeschlagenen und so kurz vor Ende der Expedition erschöpften Gefährten ihre Gemächer in der Ein-Quadratmeter-Ausführung aufsuchten, sitze ich ganz allein in einer herrlich warmen Sommernacht an einer Bar mitten in Schwarzafrika, lausche heimischer Musik und tippe meine Erlebnisse in das kleine Wunderwerk der technisierten Welt aus der ich komme. Mein Netbook und ich sind im Laufe der Reise sowieso zu einer nicht mehr trennbaren Einheit und oftmals zum Gespött der lieben Kameraden geworden. Nachts musste ich es schon gegen traumatische Nashörner verteidigen und tagsüber hetze ich wie eine Verdurstende in der Wüste durch die afrikanische Savanne auf der Suche nach einem Hotspot!
In dieser Nacht bewacht mich gerade der einzige, farbige Angestellte des Camps, namens Albert und wartet in einer unglaublichen Geduld und Muße stillschweigend auf der anderen Seite des Tresens, welcher aus einem Einbaumboot gezimmert wurde. Selbst als der Generator abgeschaltet wird und es kurz nach Mitternacht nirgendwo im Lager mehr Strom gibt, stellt Albert mir eine Kerze hin und wartet höflich. Und immer dann, wenn er mich freundlich anlächelt, erkenne ich auch, wo er gerade steht.
Nun ist es jedoch tatsächlich so weit:
Die zerlumpte und verlotterte Gurkentruppe hat ihr Ziel nach zwanzig Tagen voller Entbehrungen, Krankheiten, Futterneid, Streit und Freude, Konfliktbewältigung und Gemeinschaftsgefüge erreicht. Unser leuchtend roter Expeditionsbus, welcher manchmal Zuchtanstalt, Lazarett und Kriegsschauplatz gleichzeitig war, aber auch Raum bot für ein unglaublich kollektives Zusammenwachsen und so manche Freundschaften und Zusammenhalte neu entstehen ließ, fährt nun wie immer Aufsehen erregend in die pulsierende 4-Millionen-Einwohner-Stadt Dar-es-Salaam ein. Menschen jeglicher Coleur winken uns zu, Kinder schreien unverständliche Worte; Händler, Geschäftsleute und Langfinger vermischen sich im Getümmel und zerbeulte Busse, Autos, Tuk-Tuks, Räder und Mopeds drängeln sich dicht an dicht durch die smogüberlagerte Rush-Hour.
Charly schafft es tatsächlich, uns unbeschadet durch dieses unübersichtliche Gewühl hindurch zu bringen, so dass wir einige Stunden später unseren Endpunkt erreicht haben.
Weit ab der lärmenden Stadt, schlagen wir an einem strahlend weißen Sandstrand direkt am Indischen Ozean das letzte Mal unser Lager auf. Nach 5.000 harten Kilometern auf oftmals geradezu gesundheitsschädlichen Schotter- und Sandpisten durch fünf schwülheiße Länder Zentral- und Ostafrikas verlassen die letzten Ratten sofort das sinkende Rotel-Schiff und stürzen sich in die erfrischenden, wenngleich doch lauwarmen Fluten des weiten Ozeans, dessen rauschende Brandung uns wie Musik in den Ohren klingt.
Bezeichnender Weise bedeutet Dar-es-Salaam übersetzt: "Hafen des Friedens".
Nun, dennoch scheint halt auf Erden kein Paradies perfekt zu sein und der Friede unseres Hafens erweist sich als trügerisch. Nach unserem letzten Frühstück unter freiem Himmel am Strand beginnt nun das elendige Kofferpacken. Verzweifeltes Suchen nach allerletzten, noch sauberen und unbenutzen Wäscheteilen vermischt sich mit freudigen Ausrufen, die verkünden, dass lang vermisste Gegenstände plötzlich wieder zu Tage gefördert werden. Die Hyäne kann es noch gar nicht glauben, dass sie alsbald die einzige sein wird, die im heimatlichen Schlafzimmer schnarcht, Edeltraut freut sich, dass sie Eberhards hocherotische Unterwäsche nicht mehr mit der Hand in Krokodil gefährdeten Flüssen waschen muss, die Sepia hat bereits beim Weinhändler ihres Vertrauens in Süddeutschland zwei Kisten Willkommensschlückchen für den ersten Durst bestellt und Theo und Richard wollen die nächste Rotelreise gemeinsam in einer Doppelkabine buchen. Braunchen fragt schnell noch in der Runde nach, ob sie den Impfpass und ein Visum bei der Einreise in Deutschland braucht und ich freue mich einfach nur auf meinen Schatz. Und auf eine Steckdose mit Strom-Flatline.
Holger-Volker hat in letzter Not noch zwei Wochen Urlaub auf Sansibar drangehängt, die er nach eigenen Aussagen mindestens braucht, um sich von der Gurkentruppe erholen zu können und nur dadurch später der Gesellschaft überhaupt wieder als Arbeitskraft zur Verfügung stehen zu können.
Schnappi behält ihre Pläne wie üblich für sich und wird dieses Geheimnis irgendwann mal mit ins Grab nehmen.
In all dieser Geschäftigkeit ist niemanden aufgefallen, dass unser Hühnerheld gar nicht seinen Hugo-Boss-Koffer packt, welcher immer noch verwaist auf der Laderampe steht.
Doch plötzlich können wir seine Silhouette am Strand erkennen, wie er Schweiß überströmt und mit einem klitschnassen Hawaihemd, welches ihm wie eine zweite Haut am Körper klebt, kreidebleich auf uns zu kommt. Tatsächlich wurde unser Medizinmann soeben am Strand überfallen und mit einem Messer bedroht, was zu einem Verlust seiner Kamera und der teuren Armbanduhr führte.
Wie überall auf der Welt existiert stets das Gute neben dem Bösen. Das wird immer so sein und dennoch ist es wahrscheinlicher in Europa Opfer eines Raubüberfalls zu werden als in den Weiten dieses schönen, schwarzen Kontinents.
Ich bin randvoll mit wundervollen Erlebnissen, exotischen Eindrücken und überschäumenden Emotionen.
Kurzfristige, apokalyptische Weltuntergänge wechselten sich mit freudigen Gefühlsstürmen ab. Eine auf Gedeih und Verderb zusammen gepferchte Gruppe fand zu einer Gemeinschaft, in der letzten Endes jeder den anderen reflektierte und dennoch eine Zusammengehörigkeit entstand. Werte wurden neu definiert und der afrikanische Müßiggang lehrte uns Europäer sich in Geduld üben zu müssen.
Lachende, große Kinderkulleraugen und äußerst hilfsbereite und freundliche Einheimische aller besuchten und durchreisten Länder erinnerten uns stets daran, dass Afrika die Wiege der Menschheit ist und wir alle einst miteinander verwandt waren.
Ich nehme die Wärme und Seele des exotisch anmutenden und in seiner Einfachheit und mystischen Traditionen verwobenen schwarzen Kontinents in meinem Herzen mit, bevor ich wieder in die stressbeladene und geschäftige, heimatliche Gesellschaft zurückkehre.
Hakuna matata!
Genieße das Leben!
Gegen Abend dieses Tages nehmen alle ihre Köfferchen und machen sich fröhlich vereint auf den Weg zum Flughafen.
Wirklich alle ..................................?
Kwaheri, Afrika!
Auf Wiedersehen, Afrika!
Lieben Dank für Deine schönen, teils sehr lustigen und interessanten Zeilen aus diesem mir bis dato unbekannten Land. Ich habe mich jeden Tag auf neue Reisenachrichten von Dir gefreut. Es wird wirklich Zeit, das Du Dein erstes Buch veröffentlichst (wie ich Dir schon seit sehr langer Zeit nahe lege) :-)))
AntwortenLöschenSei lieb gedrückt und komm gut heim!!
Eric