"Seele von Afrika"

Donnerstag, 5. Januar 2012

03.01.2012 Überirdisches und unterirdisches Leuchten

Dieses Mal treibt mich der morgendliche Harndrang um 5.30 Uhr aus meiner beengenden Schlafheimstätte hinaus und ausnahmsweise mal keine Knistergeräusche. Entweder hat Edeltraut komplett verschlafen oder ihr sind die Plastiktüten für Eberhards schlapprige Unterwäsche ausgegangen. Als ich von dem äußerst widrigen Klosett retour komme, bietet sich mir in der Morgendämmerung jedoch ein ungewöhnliches und wunderbares Schauspiel: Noch weit draußen kehren langsam die malawischen Männer in ihren urigen Einbaumbooten vom nächtlichen Fischfang zurück, während am Schilf bewachsenen Ufer unzählige, wild schnatternde Frauen und Kinder mit Kübeln und Schüsseln in der Hand ihre Ankunft kaum abwarten können.

Nach dem Frühstück schnüren alle Pioniere wie gewohnt ihre roten Stoffbeutelchen wieder zu, verstauen die Leichtmetalltische und Klappstühle und stopfen verderbliche Lebensmittel ins Kühlfach. Doch plötzlich scheint es einen kleinen Tumult zu geben. Die Kameraden zücken ihre Fotoapparate und Videokameras und eilen zur Rückseite des Busses. Verdutzt folge ich ihnen und sehe sogleich das zweite Naturschauspiel des Tages:
Mit einem hochroten Kopf und vor Ärger zusammengekniffenen Lippen fegt doch tatsächlich unser Herr Doktor persönlich die Laderampe mit einem Besen, obwohl sonst eigentlich zu den Auf- und Abbauzeiten des Rotels stets seine Hauptmeditationszeit ist.
Nun, die Reihen hatten sich bereits extrem um den selbstverliebten Hühnerhelden gelichtet. Und auch die Hyäne versucht sich neuerdings kratzfußend in die Gemeinschaft mit einzubringen, indem sie es immerhin schafft eine Gurke zu schälen, während wir in der Zeit zwei riesige Schüsseln mit Tomaten, Zwiebeln, Karotten und Auberginen geschnippelt haben.
Rasch wird jetzt noch die blanke und unter ärztlicher Aufsicht gefegte Rampe unseres kollektiven Schlafzimmers hochgeklappt und meine Gurkentruppe auf derzeitigen Schmusekurs findet sich brav und vollzählig im Expeditionsbus ein.

Wir machen uns auf den Weg zur nicht weit entfernten, kleinen Grenzstation Kaporo. Dort müssen wir zusätzlich zu den üblichen Passformalitäten unseren Impfausweis mit vorzeigen, denn wer keine gültige Gelbfieberimpfung hat, der darf nicht ins Land Tansania einreisen. Außerdem ist wie in Sambia auch hier ein Visum erforderlich. Ab jetzt betreten wir im Übrigen eine neue Zeitzone und müssen somit unsere Uhren um eine Stunde vorstellen, so dass wir Deutschland nun zwei Stunden voraus sind.

In Tansania sprechen die Einheimischen viel weniger Englisch, da die Amtssprache hier Suaheli ist. Die Landschaft ist von reichhaltigen Tee-, Kaffee- und Bananenplantagen geprägt und wird von nahezu begrünten Hochplateaus umsäumt. Auch Papayapalmen, Mangobäume und Avocados sowie die riesigen Baobabs sind ebenso allerorten zu finden wie die großen Eukalyptusbäume, welche ehemals durch weiße Siedler ins Land gebracht wurden.
Und gleichsam wie in Malawi herrscht auch hier eine relativ hohe Bevölkerungsdichte. Das macht sich allein schon dadurch bemerkbar, dass es geradezu lebensgefährlich ist, die unglaublich stark frequentierten Straßen zu betreten. Alle diejenigen, die in diesem Land im Besitz eines motorisierten Gefährtes sind, rasen auf den Pisten in einer affenartigen Geschwindigkeit, als sei der leibhaftige Teufel hinter ihnen her. Gebremst wird dabei offensichtich für absolut niemanden. Schwere Unfälle sind somit vorprogrammiert, so dass wir desöfteren schlimm verunglückte Trucks am Straßenrand liegen sehen. Auch ich hatte heute Mittag während einer Pause verdammtes Glück. Doch das erste Mal überhaupt schrie mich Schnappfisch in ganzen Sätzen an: "Vorsicht, Biggi, der kommt direkt auf dich zu!" und zieht mich mit der Kraft eines austrainierten Bodybuilders an der Schulter zurück.
Danke, Schnappi!
Ihre Kraft ist dabei unglaublich, doch beruflich stählert sie wohl täglich ihre Armmuckis, da sie Physiotherapeutin ist. Wenn Schnappi mal den einen oder anderen Patienten nicht mögen sollte, dann könnte sie ihm locker die Wirbelsäule zusammenfalten oder ihn mit ihrem Schweigen einschläfern.

Doch nur weil die Bewohner Tansanias noch nie etwas von Geschwindigkeitsbeschränkungen gehört haben, gilt das nun nicht für jeden ausländischen Straßenteilnehmer. Charly, unser erstklassiger Fahrer, kann mit unserem klobig großen und absolut nicht zu übersehenden Rotel sowieso keine rasenden Rekorde aufstellen. Als er jedoch um eine Straßenbiegung auf fast freier Landstraße fährt, leuchtet plötzlich ein grelles Licht auf. Ein nicht unattraktiv aussehender Polizist steht mittig auf der Fahrbahn und bedient eigenhändig eine Art Blitzgerät. Anders gesagt, hat er soeben einfach ein Foto von unserem Expeditionsbus gemacht. Nun blitzen seine strahlend weiße Zähne im Sonnenlicht und ein breites Grinsen ob der fetten Beute erfüllt sein tief schwarzes Gesicht. Am Straßenrand sitzen seine Kollegen von der Tansania Polizei, teilweise mit Gewehren bewaffnet und machen ebenfalls freundliche Gesichter. Wer hier allerdings jetzt das Sagen hat, dürfte unbestritten sein.
Charly begeht zudem den Fauxpas seinen Führerschein aus der Hand zu geben. Danach nutzte auch alles Lamentieren, Abstreiten und Betteln nichts mehr. Den Führerschein gibt es nur gegen Bares wieder oder der Rotel muss augenblicklich stillgelegt werden. Nachdem etliche Scheine ihren Besitzer wechselten, konnten die Gesetzmäßigkeiten wieder als gerade gerückt angesehen werden und wir dürfen unsere Fahrt fortsetzen. Vermutlich werden nun die einzelnen Proviantportionen rationalisiert und die kommenden Tage nur noch aus "Millipup", dem afrikanischen ultraklebrigen und nach überhaupt nix schmeckenden Maisbrei bestehen.

Am Abend erreichen wir in der Nähe von Iringa in einem Wiederaufforstungsgebiet, welches sich im ehemaligen Siedlerhochland der Weißen befindet, unser Camp. Zwar einsam gelegen, aber mit einem unglaublich idyllischen Reiz behaftet, finden wir einen Ort vor, an dem die Duschen mit Holz und einem uralten Ofen wie zur Kolonialzeit beheizt werden. Strom gibt es hier nicht, dafür aber Toiletten in kleinen Backsteinhäuschen, bei denen die Exkremente in ungeahnteTiefen fallen. Das erste Mal überhaupt treffen wir dafür auf andere Globetrotter, die überwiegend aus Australien, England und Südafrika kommen. Und es tut so gut, mal mit erfrischend neuen Menschen reden zu können, die man nicht die vergangenen zwanzig Tage und Nächte in einfach jeder Lebenslage gesehen, gerochen und gehört hat.
Die Nachtluft kühlt sich drastisch ab, was uns vielleicht einen erholsameren Schlaf versprechen könnte. Auf dem Weg zur sogenannten Bar, welches ein grob gehauener, halbrunder Verschlag mit einer innengelegenen, offenen Feuerstelle ist, die jedoch eine wilde Romantik und Wärme ausstrahlt, biege ich noch mal rasch zu den Plumpsklos ab. Mit meiner kleinen Taschenlampe zwischen den Zähnen werfe ich die Holztür zu und überlege noch, wie tief diese Grube wohl dort unter meinem entblößten Po sein mag, als mir tolpatschiger Weise doch echt die brennende Lampe genau da hinein fällt! Scheiße aber auch! Der positive Effekt daran ist, dass ich nun ziemlich genau die Tiefe mit satten drei Metern abschätzen kann.
Seufzend tappse ich mich zur Buschbar vor und erzähle den dort anwesenden Reisegefährten von meinem kleinen Malheur. Allerdings spricht sich der Vorfall quasi rasend schnell und auch gleich noch weltweit herum, denn auch die anderen Campbesucher aus Australien, England, Südafrika und sogar der Schweiz kommen verdutzt in die Bar und berichten belustigt von einem einzigartigen und äußerst ungewöhnlichen Klo, welches aus unterirdischen Tiefen heraus Licht spendet.
Das beleuchtete Scheißhaus wird der aktuelle Renner in diesem Camp. Nahezu jeder möchte es besuchen, so dass bereits lange Schlangen davor entstehen. Auch meine lieben Reisegefährten informieren mich sozusagen stündlich darüber, ob die Batterien noch halten und wie sich die begehrte Aussicht im Lichtstrahl modifiziert.

Eine Rotel-Expeditionstour allerdings ohne verfügbare Taschenlampe zu bestreiten, kommt praktisch einem Himmelfahrtskommando gleich. Ich hingegen habe aber das unglaubliche Glück, dass mein weitsichtiger Schatz mich mit seinem wertvollen Weihnachtsgeschenk genau davor bewahrt hat.
Danke, Liebling!

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