Als ich nach einer kurzen, lauwarmen Nacht aus meinem Vogelnest krabbele, spiegeln sich gerade die zarten Pastellfarben des frühen Sonnenaufgangs im ruhigen Malawi-See wider. Der letzte übriggebliebene, nächtliche Krachmacher hat es nun endlich aufgegeben, seiner Liebsten mit dem machohaften Gequake zu imponieren.
Soweit mein Auge reicht sehe ich einen herrlich weißen Sandstrand, an dem lediglich nur ein paar vereinzelte, strohgedeckte Überdachungen Schatten spenden und unter denen einige wenige Rattanliegen stehen. Kein dekadentes, mehrstöckiges Clubhotel versperrt die Sicht auf das klare Wasser und kein Tourist rennt in der frühen Morgenstunde mit einem übergroßen Saunahandtuch zu strategisch günstigen Strandliegen, um diese im Sturm zu annektieren.
Nur ein paar Einheimische sitzen im warmen Sand und bewitzeln vermutlich gerade die zerlumpten Verrückten, die zusammengepfercht wie in einem Viehtransport mit einem roten Expeditionsbus durch das Land rumpeln und des nachts in kleine Raubtierkäfige weggeschlossen werden.
Wie blöd muss man eigentlich sein?!
Malawi ist tatsächlich noch wie eine kostbare Perle in einer unentdeckten Austernmuschel. Überhaupt stelle ich fest, dass wir während unserer gesamten Reise kaum Weiße, geschweige denn Touristen gesehen haben. Doch diese wunderbare Naturlandschaft kann dennoch nicht die dramatische Armut des Landes überdecken. Trotzdem begegnen uns seine Menschen stets freundlich lächelnd und friedlich in ihrer Mentalität, selbstbewusst und schön in ihrer äußeren Erscheinung.
Ich erlebe immer wieder herzlich lachende Gesichter sobald ich ihnen zuwinke oder sie nach ihren Namen befrage. Dabei leben sie ganz offensichtlich im Hier und Jetzt, obgleich die durchschnittliche Lebenserwartung im tiefen Schwarzafrika lediglich bei knapp 40 Jahren liegt.
Tuberkulose, Malaria und HIV-Infektionen, gepaart mit der allerorts vorhandenen Unhygiene und medizinischen Unterversorgung fordern ihre Opfer.
Mir wird bewusst, dass meine Lebensuhr möglicherweise ihre letzten Takte schlagen würde, wenn ich nicht den Vorteil meines privilegierten Geburtsortes im zivilisierten, progressiven Europa genießen könnte. Vielmehr bin ich sogar in der Lage, die einfach strukturierte, von alten Traditionen geprägte und für uns so exotische Welt dieser genügsamen Menschen besuchen zu dürfen.
Reisen verändern stets die Wertigkeit der Dinge bei mir. So ist es beispielsweise für einen Rotelianer von ungeheurer Wichtigkeit, stets seinen leuchtend roten Notfallbeutel griffbereit zu haben. Er enthält alles, was man auf einer solchen Urlaubsreise der selbstgewählten Leiden braucht:
Zwei bruchsichere Plastikschüsseln in verschiedenen Größenausführungen, einen Kunststoffbecher, ein Bestecksortiment sogar in der Deluxe-Metallausführung, ein Brettchen und in der Regel ein gestreiftes und nur am ersten Tag noch sauberes Geschirrhandtuch. Alles wird praktisch im besagten Stoffbeutelchen mit Namensaufschrift verstaut, welcher auch noch etwas Platz für eine medikamentöse Prophylaxe und Verbandsmaterial übrig lässt. Mehr braucht ein echter Rotel-Pionier nicht!
Tägliches Duschen, Zähneputzen oder gar Wäschewechseln gilt in Insiderkreisen als verpönt und wird von der Außenwelt vermutlich völlig überbewertet. Hier im Busch oder besser gesagt bei der Rotel-Expediton, da zählen einfach andere Dinge!
Als die Gurkentruppe sich am ersten Tag kennenlernte, da begegneten wir uns alle noch gestriegelt, faltenfrei und an sämtlichen Körperregion rasiert. Man hielt noch den gewohnt großen Sicherheitsabstand zueinander und Höflichkeitsfloskeln wie "bitte", "danke" oder gar "nach dir" sprangen verbal mit einem Lächeln auf den Lippen hin und her. Schuhe wurden anstandsmäßig vor dem Betreten des Rotels abgeputzt und die männlichen Reisegefährten erkannte man noch an einem rosafarbenen Gesicht ohne eine einzige Bartstoppel. Gestärkte, blütenweiße und nach Parfum duftende Blusen wurden ordentlich neben gebügelte Hemden an die kollektive Kleiderstange gehängt und die Koffer standen fein säuberlich aufgereiht nebeneinander.
Nun, das ändert sich jedoch im Verlauf der Reise.
Nach unserer nun beinahe drei Wochen andauernden Fahrt durch bis dato vier Länder Zentral- und Ostafrikas finden die Dinge des Lebens zu einer neuen Wertigkeit. Seine Mitreisenden erkennt man heute mehr am Geruch oder an den mannigfaltigen Schnarchgeräuschen. Sämtliche männliche Rotelianer haben das Rasieren mittlerweile aufgegeben und sehen durchweg eher wie Robinson Crusoe aus, während einige Rotelianerweibchen inzwischen BHs für ein überflüssiges Übel halten. Die Schamgrenze und die europäische Intimdistanz ist bereits gegen Null gesunken und der Umgangston teilweise rauher geworden. Dennoch hat uns gerade jede neue Extremsituation zu einer Gemeinschaft zusammen geschweißt, bei der es vollkommen egal ist, ob du nun Arzt bist und einen Porsche vor deiner Haustür stehen hast oder als Schulsekretärin, Krankenschwester oder Handwerker deinen Lebensunterhalt bestreiten musst. Hier sind wir alle gleich!
Nach unserem königlichen Frühstück am Strand des Malawi-Sees packen alle Gefährten ihre roten Stoffbeutelchen zusammen und bauen das Lager ab. Heute führt uns die Fahrt über eine wunderschöne Panoramastraße stets entlang des riesigen Malawi-Sees nach Karonga, ein kleines Örtchen nahe der Grenze zu Tansania, die wir morgen früh überschreiten werden.
Am späten Nachmittag erreichen wir unser Camp, welches ein letztes Mal wieder direkt am schönen Malawi-See gelegen ist. Unzählige Fischerboote, die stets lediglich aus einem einzigen Baumstamm heraus geschält wurden, säumen den Strand. Einheimische Kinder baden, spielen und toben im See herum, während ihre Mütter die Wäsche noch wie vor hunderten von Jahren mühselig mit der Hand waschen. Ihre Männer werden spät in der Nacht gemeinsam zu ihrem Fischfang hinausfahren und erst in der Morgendämmerung mit einem erhofften, reichhaltigen Fang zurückkehren.
Dieses Camp ist sehr einfach gehalten. Es gibt kein Licht oder Vorhänge bei den Duschen, welche auch nur über kaltes, tröpfelndes Wasser verfügen. Die Toiletten sind verdreckt und auch nicht nach Geschlecht gekennzeichnet. Das nützte uns bis dato sowieso nie etwas, da sich Theo und Richard regelmäßig in den Damenduschen verlaufen hatten. Auch der Medizingockel ist desöfteren mit den einfachsten Geschlechtspiktogrammen überfordert. An diesem einsamen Ort in dem noch vollkommen unbekannten Malawi gibt es sonst weiter gar nichts. Nur einen Haufen streunender Rotelianer und afrikanischen Müßiggang.
Während wir zu später Stunde bei Taschenlampenlicht auf unseren wackligen Klappstühlchen zusammen sitzen, zieht Holger-Volker plötzlich sein Smartphone aus der Tasche und ruft in die Runde, ob sich jemand einen Musiktitel wünschen möchte.
Oh ja! Ich habe da sofort einen speziellen Wunsch. Unser Mann für alle Fälle hat sogar einen Minilautsprecher dabei, den er an sein Handy anschließt. In vollkommener Dunkelheit und ungewohnter Stille lauschen wir einträchtig der tiefen, melodischen Stimme von Barry White und seinem unvergessenen Song: "You are my one, my last and my everything."
Für mich hat dieses Lied genau in diesem Moment und an diesem Ort einen unbezahlbaren Wert!
Hallo liebe Biggi!
AntwortenLöschenUnbekannterweise durfte ich an den vielen tollen Eindrücken teilhaben und habe mich tierisch gefreut. Gestern Abend war es soweit und ich fing an zu lesen und konnte nicht mehr aufhören...es ist so herrlich geschrieben, dass man einfach weiterlesen muss!!!!
Heute morgen waren dann auch Braunchen und Sepia ein Thema...lach...es konnten leider nur zwei Leute mitreden grins aber das war ok!!!
Vielen herzlichen Dank für die Einladung und dieses Gefühl, fast dabei gewesen zu sein....
Ich hoffe, dass wir uns in allernächster Zeit mal kennenlernen werden...vielleicht zu einem Milchkaffee im Mezzo?
Ich wünsche eine gute Heimreise und auf den letzten zwei Tagen noch ganz besonders viel Spaß
Alles Liebe
Bine